Genome Editing - Impulspapier 2.0

 Genome Editing: Faktenbasierte Regulierung durch differenzierte Betrachtungsweise 

Gemeinsame Stellungnahme von WGG und VBIO (30.12.2020)

Impulse zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur rechtlichen Einordnung von Mutageneseverfahren  

Ausgangslage 

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 25. Juli 2018 [1] sind durch Mutagenese gewonnene Organismen grundsätzlich als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) einzustufen und unterliegen deshalb den Regelungen des Gentechnikgesetzes (Richtlinie 2001/18/EG). Zur Begründung wird angeführt, dass durch Verfahren der Mutagenese eine auf natürliche Weise nicht mögliche Veränderung am genetischen Material eines Organismus vorgenommen wird. Der EuGH unterscheidet prinzipiell nicht zwischen den neuen (gezielten) und alten (ungerichteten) Methoden der Mutagenese (Erzeugung von Erbgutveränderungen). Das heißt, dass sowohl Organismen, deren Erbgut mithilfe von klassischer Mutagenese [2], bei der mutagene Chemikalien oder ionisierende Strahlung zur Veränderung des Genoms eingesetzt werden, als auch der gezielten Mutagenese ( Methoden des Genome Editing ), als genetisch veränderte Organismen (GVO) im Sinne der EU-Richtlinie 2001/18/EG (Freisetzungsrichtlinie) zu betrachten sind. 

Nach Interpretation des EuGH wurden die schon vor Verabschiedung der Richtlinie am 12. März 2001 praktizierten, klassischen Methoden der Mutagenese vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen. Sie gelten seit langem als sicher (Art.3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/18 i.V. Nr. 1 ihres Anhangs I B und 17. Erwägungsgrund). Dagegen bestünden bei den neuen Mutagenese-Verfahren noch keine hinreichenden Erfahrungen. Sie hätten somit ein vergleichbares Risikopotential wie die Erzeugung transgener Pflanzen, bei denen fremde Erbsubstanz ins Genom von Organismen eingeschleust wird. Dem Vorsorgeprinzip folgenden, müssten deshalb die Regelungen des Gentechnikgesetzes Anwendung finden (Art.2 Nr. 2 der Richtlinie 2001/18; vierter, achter und 25. Erwägungsgrund). Diese Organismen und alle daraus gewonnene Erzeugnisse sind somit vor dem Inverkehrbringen einer umfassenden Sicherheitsbewertung für Mensch, Tier und Umwelt zu unterziehen. Ebenso müssen sie rückverfolgbar sein und gekennzeichnet werden. 

Gegenstand/ wissenschaftlicher Hintergrund
 
Anders als bei der klassischen Gentechnik werden in der Regel beim Genome Editing keine „fremden“ Gene oder größere neue Nukleotid-Sequenzen eingeführt, sondern es wird an einer vorbestimmten Stelle gezielt ein Doppelstrangbruch der DNA-Kette herbeigeführt. Bei der anschließenden zelleigenen Reparatur können einzelne DNA-Bausteine entfernt oder eingefügt werden. Infolge des entstandenen „Fehlers“ wird das betreffende Gen inaktiviert oder aktiviert. Nichts anderes passiert bei natürlichen Mutationen, wie sie sich zufällig immer wieder und in großer Zahl ereignen. 

In der klassischen Pflanzenzüchtung werden solche zufällig auftretende oder absichtlich induzierte, aber nicht gerichtete Mutationen im Pflanzengenom genutzt, um Eigenschaften von Pflanzen zu verändern bzw. neue Eigenschaften zu erzeugen. Hierbei ist allerdings nicht bekannt, an welchen Stellen im Genom und in welcher Anzahl sie aufgetreten sind. In einem Selektionsprozess (Rückkreuzungen) müssen aus vielen unerwünschten Veränderungen die Erwünschten herausgelesen werden. Die Verfahren des Genome Editing, bei denen die jeweilige DNA-Sequenz bekannt ist, ermöglichen es, punktgenaue Mutationen im Erbgut zu erzeugen. Es wird eine vorab definierte Stelle im Erbgut angesteuert, um die DNA genau hier zu schneiden. An dieser Position können nun folgende Veränderungen erfolgen [3]: 
1. Ohne weiteren Eingriff repariert die Zelle den DNA-Bruch. Dadurch kann an der betroffenen Stelle eine Mutation (Punktmutation, kurze Deletion
    oder Insertion) entstehen (Genome Editing 1 bzw. SDN-1). Auch bei der Anwendung der ODM-Technologie, bei der Veränderungen im Genom
    durch die Behandlung von Zellen mit kurzen Nukleinsäure-Strängen herbeigeführt werden, entstehen Punktmutationen, ohne dass die DNA mittels 
    einer Nuklease geschnitten wird. 
Diese und weitere molekularbiologische Technologien, die zu ähnlichen Veränderungen im Genom führen (gezielte Punktmutationen, kurze Deletionen oder Insertionen) oder solche, die lediglich die Methylierung von DNA-Bausteinen bewirken (ohne Veränderung der DNA-Sequenz selbst) [4], werden hier allgemein unter SDN-1-Verfahren zusammengefasst. 

2. Wird ein Stück DNA in die Zelle eingebracht, das nahezu identisch zur ursprünglichen Sequenz ist, aber einzelne Änderungen in der Basenfolge 
    enthält, so nutzt die Zelle diese DNA als Vorlage, um den Bruch zu schließen. Im Ergebnis wird die neu eingebrachte DNA in das Genom der Zelle 
    integriert (SDN-2). 

3. Wird DNA in die Zelle eingebracht, die neben der ursprünglichen Sequenz ein längeres DNA-Fragment (mehr als 20 Basen) oder ein komplettes 
    Gen eines anderen Organismus beinhaltet, so kann die Zelle dieses neue Gen bei der Reparatur an der Bruchstelle einbauen (SDN-3). 

Pflanzen, die aus SDN-1 und SDN-2-Verfahren hervor gehen, lassen sich nicht von Pflanzen unterscheiden, die auf Basis herkömmlicher Verfahren der Mutagenese oder durch spontane Mutation entstanden sind. In der Natur kommen derlei Mutationen ständig vor. Sie sind der Motor der Evolution. Nur bei SDN-3-Methoden wird ein längeres DNA-Fragment eingefügt, das dann auch leicht mittels molekulargenetischer Verfahren (z.B. PCR) nachgewiesen werden kann. 

Problematik 

Die Rechtsgrundlage für das im Juli ergangene EuGH-Urteil ist die Richtlinie 2001/18, basierend auf dem Wissensstand der 1990er Jahre. Sie entspricht nicht mehr dem aktuellen Stand von Wissen und Technik. 

Der Richterspruch orientiert sich ausschließlich am Prozess der Erzeugung – also am Eingriff ins Genom – und nicht am Resultat, also der letztlich daraus entstandenen Pflanze. 

Mit den neuen Verfahren können letztlich die gleichen Mutationen erzeugt werden wie mit der konventionellen Mutagenese. Die Entscheidung des EuGH-Urteils kann zukünftig dazu führen, dass zwei in dieser Hinsicht genetisch identische Pflanzen unterschiedlich reguliert werden müssen. Dieser Sachverhalt zeigt, dass eine Bewertung des Risikos anhand des genutzten Verfahrens, also eine prozessbasierte Risikobewertung, nicht angemessen ist [5]. 

Viele durch Methoden des Genome Editing entstandene Pflanzen bzw. daraus gewonnene Produkte können nicht von Produkten unterschieden werden, die durch natürliche Prozesse oder durch herkömmliche Züchtungstechniken verändert wurden. Mit etablierten Nachweismethoden ist dies nicht möglich. Dies wird in dem Bericht des Joint Research Center Detection of food and feedplant products obtained by new mutagenesis techniques([6] deutlich: 
  1. „Für nicht eindeutige DNA-Änderungen, die ein oder wenige DNA-Basenpaare betreffen, kann ein Antragsteller möglicherweise keine ereignisspezifische Methode entwickeln [7].“ 
  2.  „Durch Genom-Editing gewonnene Pflanzenprodukte können unerkannt auf den Markt gelangen. Wenn ein Produkt mit einer unbekannten oder nicht eindeutigen DNA-Änderung auf dem EU-Markt entdeckt würde, wäre es außerdem schwierig oder sogar unmöglich, einen Beweis vorlegen zu können, dass die geänderte Sequenz aus der Bearbeitung von Genomen stammt [8]. “
 
Da das Ergebnis der durch Genom-Editierung erzeugten Veränderungen oft identisch ist mit Mutationen, die spontan in der Natur entstehen, ist es im Normalfall unmöglich, von dem Nachweis einer solchen Veränderung auf die Art ihrer Entstehung zu schließen. Dies bedeutet, dass die aktuelle EU-Gesetzgebung zur Kennzeichnung bei importierter Ware durch Kontrollen nicht durchgesetzt werden kann. Der nicht rechtssichere Nachweis der Anwesenheit einer genetischen Veränderung, erschwert Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit und dies wird zu Verwerfungen im internationalen Warenverkehr führen. 

Bereits eine geringfügige Änderung des existierenden Regelwerks würde es erlauben, die Europäische GVO-Gesetzgebung an Regelwerken anderer Länder anzupassen. Dadurch könnten Wissenschaftler, Pflanzenzüchter, Landwirte und Produzenten der EU-Mitgliedsstaaten die Genom-Editierung als Werkzeug nutzen, um Beiträge für die Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung in Umwelt und Landwirtschaft Lebensmittelproduktion zu leisten [9]. 

Fazit 

Die Juristen haben entsprechend den rechtlichen Gegebenheiten geurteilt. Naturwissenschaftliche Bewertungen wurden nicht mit einbezogen. In der Politik wiederum hat man die schon lange notwendige Anpassung des Gentechnikgesetzes an den Stand der Wissenschaft seit Jahren vor sich hergeschoben und schlicht nichts getan. Das Resultat: Juristen werden in Sachen Gentechnik nach geltendem Recht gefragt und entscheiden nach geltendem Recht – und damit gleichzeitig nach Stand der Wissenschaft der 1990er Jahre. 

Das Urteil wird dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zweifelsohne nicht gerecht. Genome Editing hat eine sehr große Anwendungsbreite: Es kann eine kleine Mutation oder eine große Genomänderung erzeugen. Eine pauschale juristische Festlegung ist aus diesem Grunde nicht geeignet. 
So schwierig und politisch langwierig es auch sein mag die Gesetze an den wissenschaftlichen Fortschritt anzupassen – nichts zu tun und die Dinge einfach laufen zu lassen, ist keine Alternative. Die Anwendungen des Genome Editing braucht klare Richtlinien, aber - und das ist essenziell - auf einer deutlich differenzierteren Ebene, als sie pauschal unter die Regularien der Gentechnikgesetzgebung zu verbannen 
Wir haben die Chance, das zu diskutieren und differenzierter zu betrachten. Es gilt nun, gegenüber der EU-Kommission mit entsprechenden Vorschlägen für eine faktenbasierte Gesetzgebung einzutreten, die wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt und differenzierte Betrachtungsweisen der Genome Editing-Verfahren mit einbezieht, um Forschung und Entwicklung in Europa nicht ins Hintertreffen geraten zu lassen. 

Bleibt die Formulierung des Urteils das letzte Wort und die EU-GVO-Gesetzgebung weiterhin so wie sie ist, haben die Anwendungen des Genome Editing in der Europäischen Union kaum eine Chance. Von der Technik profitieren werden in erster Linie große, multinationale Konzerne, denn nur diese können die immensen Kosten des aufwändigen und langwierigen Zulassungsverfahrens tragen. Eine zunehmende Marktkonzentration wird so weiter vorangetrieben. Dabei bergen gerade die Methoden des Genom-Editing eine Chance zur Demokratisierung und Beteiligung kleiner und mittelständischer Unternehmen. 

Die Folge wären dauerhafte und einschneidende Nachteile für Forschung und Entwicklung – beispielsweise in Hinblick auf dringend benötigte klimaresistente, nährstoffreichere und ertragreichere Nutzpflanzen zur Bewältigung ökologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Herausforderungen. Zudem steht zu befürchten, dass exzellente Forscher und mit ihnen ihr Know-how abwandern, weil sie in Europa keine Entwicklungsmöglichkeiten sehen. 

Eine Revision des Gentechnikgesetzgebung ist mittelfristig notwendig. Bis dahin müssen aber auch innerhalb der bestehenden Regelungen Möglichkeiten eröffnet werden, die Instrumente des Genome Editing nach sorgfältiger Abwägung von Stärken, Schwächen und möglichen Risiken verantwortungsvoll anzuwenden. Dies gilt für alle Anwendungsfälle – ganz explizit auch für den Bereich der Pflanzenforschung. 

Handlungsvorschläge

Eine wissenschaftlich nachvollziehbare Regulierung bedarf einer Unterscheidung zwischen den verschiedenen Techniken des Genome Editing und einer differenzierten Betrachtung der verschiedenen Anwendungen. 


Ob die neuen Züchtungstechniken GVO nach dem Gentechnikrecht erzeugen und die so erzeugten Produkte in der Konsequenz dem geltenden Gentechnikrecht unterliegen, lässt sich nicht pauschal beantworten. Es ist nicht ausschlaggebend, dass bei der Anwendung der Technik eine genetische Veränderung durch Menschenhand erzeugt wird. Es muss vielmehr berücksichtigt werden, ob die mit den neuen Methoden erzeugte Veränderung auf natürliche Weise hätte entstehen können – vgl. § 3 Gentechnikgesetz (GenTG) [10]. 

Entscheidend ist das Fehlen von längeren DNA-Fragmenten (mehr als 20 Basenpaare) oder von kompletten Genen anderer Organismen in den mittels Genome Editing erzeugten Pflanzen. Solche Genom-editierten Organismen, die keine „Fremd-DNA" enthalten, sollten von der gleichen Ausnahmeregelung profitieren können, die für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) gilt, welche durch traditionelle Mutageneseverfahren erzeugt wurden (Annex I B Teil2). Stattdessen sollten die bewährte Saatgutregulationen zur Anwendung kommen. 

Pflanzen, bei denen längere DNA-Sequenzen (mehr als 20 Basenpaare) eingefügt oder deletiert wurden oder ein Transfer von Gensequenzen über Artgrenzen hinweg erfolgt (SDN 3), sollen auch im novellierten Rechtsrahmen einer Bewertung und Genehmigung im Rahmen des Gentechnikrechts unterzogen werden[11]

 

Konkret wird vorgeschlagen 


1. Organismen, die mit folgenden Techniken erzeugt wurden, im Anhang I A Teil 2 der Richtlinie einzuschließen: 

    Molekulare Verfahren, die durch ihre Anwendung eine genetische Veränderung bewirken, wie sie auf natürliche Weise entstanden sein kann, insbesondere

    Verfahren, die 

           a. Deletionen von DNA-Fragmenten bewirken 

           b. einzelne Basenpaare austauschen 

           c. eine Insertion, Inversion oder Translokation solcher genetischer Information im Genom bewirken, die im natürlichen Genpool derselben Art oder 

      nahe verwandter Arten bekanntermaßen vorkommt oder mit hoher Wahrscheinlichkeit vorkommen kann. 


2. die nach Anhang I B bereits von der Verordnung ausgenommenen Organismen, um folgende neue Kategorien zu ergänzen: 

    Molekulare Verfahren, die durch ihre Anwendung eine genetische Veränderung bewirken, wie sie auf natürliche Weise entstanden sein kann, insbesondere

    Verfahren, die 

a. Deletionen von DNA-Fragmenten bewirken 

b. einzelne Basenpaare austauschen 

c. eine Insertion, Inversion oder Translokation solcher genetischer Information im Genom bewirken, die im natürlichen Genpool derselben Art oder 

    nahe verwandter Arten bekanntermaßen vorkommt oder mit hoher Wahrscheinlichkeit vorkommen kann [12].


Allen drei Kategorien ist gemeinsam, dass die Zielorganismen keine Fremd-DNA enthalten.


Referenzen

1 http://curia.europa.eu/juris/documents.jsf?num=C-528/16

2 2 http://www.zkbs-online.de/ZKBS/DE/03_Fokusthemen/Genome%20Editing/Genome%20Editing_node.html 

3 Für weiterführende Informationen siehe: Sprink, T., Eriksson, D., Schiemann, J., Hartung, F. (2016): Regulatory hurdles for genome editing: process- vs. product-based approaches in different regulatory contexts. Plant Cell Reports, 35:1493-1506. 

4 Dies ist mit der sogenannten RdDM-Technologie (RNA-dirigierte DNA-Methylierung) möglich. 

5 http://www.zkbs-online.de/ZKBS/DE/03_Fokusthemen/Genome%20Editing/Genome%20Editing_node.html 

6 http://gmo-crl.jrc.ec.europa.eu/doc/JRC116289-GE-report-ENGL.pdf 

7 ebd. 

8 ebd. 

9 https://www.mpimp-golm.mpg.de/2342131/news_publication_13748381?c=2162 

10 vgl. https://www.wgg-ev.de/aktuelles/impulspapier-genome-editing/; https://www.vbio.de/fileadmin/user_upload/verband/Positionen/160914_GE_Impuls.pdf 

11 ebd 

12.



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