Französischer Staatsrat-Urteil Mutagenese

Französischer Staatsrat stuft in vitro Mutageneseverfahren als Gentechnik ein

         In vitro mutierte Pflanzen sind gentechnisch veränderte Organismen (GVO)

Der Conseil d´État (der Staatsrat), Frankreichs höchster Verwaltungsgerichthof, hat am Freitag, 07.02.2020, das Urteil in dem durch Bauern-, Tier- und Umweltschutzverbänden 2015 angestrengten Verfahren zur Einordnung von Mutageneseverfahren und zur Umsetzung der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG ins französische Rechtssystem gefällt. Der Gerichtshof gab gegen den Staat klagenden Parteien weitgehend in allen Punkten recht und folgte bei der Urteilsbegründung der ► Vorabentscheidung des EuGH-Urteils von 25. Juli 2018.

Der Gerichtshof, dessen Entscheidungen unanfechtbar sind, entschied auf Aktenlage, dass alle Pflanzen, die nach in Krafttreten der Freisetzungsrichtlinie (12.03.2001) mit Hilfe von in vitro Mutageneseverfahren gezüchtet wurden, grundsätzlich gentechnisch veränderte Organismen (GVO) darstellen und somit allen Regularien aus der Gentechnik- und Umweltschutzgesetzgebung zu unterwerfen sind.

Der Gerichtshof hat der Regierung eine Frist von 6 Monaten gesetzt, das Umweltgesetz (Art. D 531-2, Buchstabe a) diesem Urteil anzupassen. Der Hohe Rat für Biotechnologie soll eine Liste von in vitro Mutageneseverfahren zusammenstellen, die seit langem angewandt werden und erfahrungsgemäß mit keiner Schädigung der „öffentlichen Gesundheit oder der Umwelt“ verbunden sind. Für diese soll dann eine Ausnahmeregelung ähnlich wie in Annex I B der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/ EG angewandt werden. 

Weiterhin muss die Regierung innerhalb von neun Monaten ermitteln, welche im Sortenkatalog (2002/53/EC) aufgenommene Pflanzen durch in vitro Mutageneseverfahren erzeugt wurden und nun den Bestimmungen des Gentechnikrechts und des Umweltschutzgesetzes unterliegen. Pflanzen, die nicht nach diesen Regularien in den Sortenkatalog aufgenommen wurden, müssen aus dem Sortenkatalog gestrichen und vom Markt genommen werden.

Zusätzlich wies der Gerichtshof daraufhin, dass die Behörde (ANSES) potenzielle Risiken für Mensch und Umwelt durch in vitro Mutagenese gewonnene herbizid-tolerante Pflanzen ermitteln und bewerten soll. Bei der Bewertung sollen Anbauvoraussetzungen für solche Pflanzen definiert werden, die die Verwendung von Herbiziden reduzieren.  

Ferner ist der Gerichtshof der Auffassung, dass Vorsorgeprinzip bei in-vitro mutagenisierten Pflanzen und insbesondere bei herbizid-toleranten Pflanzen anzuwenden sei.

Dem Antrag auf ein Anbaumoratorium von in vitro mutagenisierten Pflanzen, insbesondere von herbizid-tolerantenhat der Staatsrat verworfen.
In vitro Mutageneseverfahren: Hier werden ähnlich wie auch im EuGH-Urteil alle Verfahren zusammengefasst, die zu genetischen Veränderungen in einem Organismus führen. Einerseits beinhalten sie die klassischen Verfahren, wie die Behandlung mit mutagenen chemischen Agenzien oder energiereicher Strahlen. Sie führen ungerichtet zu zahlreichen zufälligen Mutationen im Erbgut. Anderseits auch die gerichteten neuen Verfahren, die sich aus den Möglichkeiten der CRISPR/Cas-, TALEN-, ODM- Verfahren ergeben. In der Regel führen diese nur zu einer gewünschten Mutation im Genom. Gemeinsam allen Verfahren ist, dass eine Pflanze mit einem neuen nützlichen Merkmal (oder auch mehreren) gezüchtet werden soll. 
Das Urteil gilt zwar nur für Frankreich, aber seine Umsetzung in nationales Recht wird weitreichende Auswirkungen für Innovationen, freien Warenverkehr und Wettbewerbsfähigkeit in und für die Europäische Union haben. Es verdeutlicht aber auch, dass die EU-Kommission zeitnah das Gentechnikrecht an den Stand von Wissenschaft und Technik anpassen muss. Einzel staatliche Regelungen sollten vermieden werden. 

Das Urteil greift einer einheitlichen europäischen Regelung vor. Für Frankreich bedeutet es, dass in vitro mutierte Pflanzen, die nach 2001 zugelassen, aber nicht die EU-Sicherheitsbewertung unterzogen wurden, nicht mehr angebaut und Produkte aus diesen Pflanzen nicht mehr gehandelt werden dürfen. Der internationale Handel wird eingeschränkt! 

Listung und Einordnung von in vitro Mutagenese durch den Hohen Rat für Biotechnologie:
Die Listung dieser Mutageneseverfahren ist grundsätzlich begrüßenswert, allerdings hätte dies bereits vor Jahren die EU-Kommission innerhalb der Diskussion um neue Züchtungsverfahren machen sollen. Wird hier bereits eine Präjustizierung durch den französischen Staat vorgenommen? Unklar ist inwieweit der Hohe Rat für Biotechnologie mit der EU-Kommission in Verbindung setzen kann (darf). Eindeutig ist allerdings, dass eine Abstimmung mit der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten innerhalb der gesetzten Frist nicht möglich ist.

Überprüfung des Sortenkatalogs: Die Auflistung von in vitro mutagenisierten Pflanzen (Stichtag 12.03.2001 ??), die nicht die vorgeschriebenen Sicherheitswertung durchlaufen haben, wird sich schwierig gestalten, wenn nicht sogar unmöglich sein. Für die meisten Pflanzen ist nicht gesamte Züchtungsgang, einschließlich der von den Ausgangskreuzungspartnern bekannt. Die Frist von neun Monaten ist viel zu kurz. Die mögliche Streichung von Pflanzen aus dem Sortenkatalog wirft rechtliche Fragen auf, da das Urteil bzw. seine Umsetzung rückwirkend auf bestehende (europäische) Regelungen wirkt.

Fazit: Das Urteil stellt ein weiteres Hindernis für die moderne Pflanzenzüchtung dar und schränkt die Möglichkeiten von kleinen und mittelständischen Züchtungsunternehmen im internationalen Wettbewerb zu bestehen ein. 

Das Urteil:
Conseil d'État, 7 février 2020, Organismes obtenus par mutagenès

Certains organismes obtenus par mutagenèse doivent respecter la réglementation OGM

Weitere Informationen zum EuGH-Urteil "Mutageneseverfahren:
Share by: