gv-Petunien-Freisetzung

Gentechnisch veränderte Petunien - Erste Freisetzung von gv-Pflanzen in Deutschland

Am 14. Mai 1990 also vor 30 Jahren werden in Deutschland erstmals gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen freigesetzt. Das Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtung in Köln führt eine Freisetzungsversuch mit gentechnisch veränderte Petunien durch. . Mit der Freisetzung wollen die Forscher unter Leitung von Prof. Saedler (Projektleiter) des MPI das Verhalten und Aktivitäten von „springenden Genen“ (Transposonen) untersuchen. 

Freisetzungsversuche werden in Deutschland kritisch betrachtet

1985 wurden in den USA erstmals gentechnisch veränderte Organismen (GVO) (Eis-Minus-Bakterien an zwei Standorten) in die freie Natur ausgebracht und dann auch 1986 erstmals in Frankreich (Tabak). Der wissenschaftliche Fortschritt lässt sich kaum aufhalten und ein Freisetzen von GVO konnte auch in Deutschland erwartet werden. Kritiker der Gentechnik waren/ sind der Auffassung, dass das Freisetzen von GVO aus Sicherheits- und Vorsorgegründen verhindert werden muss. Deshalb gründeten ► 1986 kritische Wissenschaftler*innen, Journalist*innen, Tierärzt*innen, Mediziner*innen, Politiker*innen und anderen an der Gentechnik interessierten Menschen das GeN-ethische Netzwerk (GeN). Das GeN verstand (versteht) sich als ein kritisches und abhängiges Gegengewicht zu der interessenorientierten Selbstdarstellung aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Ihre Ziele beschrieben sie damals mit „um die notwendige kritische öffentliche Diskussion über Anwendungsbereiche, Ziele und Gefahren der modernen Biotechnologien – der Gentechnologien und Fortpflanzungstechnologien – zu fördern“ sowie „Informationen über Gen- und Reproduktionstechnologien zu sammeln, auszuwerten und zu verbreiten“. Heute gibt das GeN in seiner ► Selbstdarstellung an: „Unsere Kritik an Gentechnik in Landwirtschaft und Medizin verbindet sich in den Zielen einer Demokratisierung von Wissenschafts- und Technologiepolitik. Wir setzen uns dafür ein, dass kapitalistische Dynamiken der Ökonomisierung in verschiedenen Feldern der Biopolitik zurückgedrängt werden. Unter anderem engagieren wir uns dafür: 
• den Anbau von gentechnisch verändertem Saatgut in Deutschland und global zu verhindern,
• Versuchsfreisetzungen mit gentechnisch veränderten Pflanzen institutionell und lokal zu verhindern,
• neue Formen der Gentechnologie kritisch zu hinterfragen,
• privaten intellektuellen Eigentumsrechten entgegenzuwirken,
• die Normalisierung und Ausweitung von selektiven und diskriminierenden Reproduktionstechnologien wie pränatale Diagnostik zu beenden, 
• die Legalisierung von reproduktiven Techniken wie Eizell“spende“ und „Leihmutterschaft“ zu verhindern,
• den Datenschutz biologischer und genetischer Daten durchzusetzen.“
.
Damals wie heute sieht das GeN eine ihrer Hauptaufgaben das Verhindern von Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen. Es macht keine Unterscheidung zwischen Freisetzungen für kommerzielle und wissenschaftliche Zwecke. 

Zur gleichen Zeit wurde von interessierten Gruppen, Umwelt-, Naturschutzverbänden und den GRÜNEN ein fünfjähriges Moratorium für gentechnische Arbeiten gefordert. Während dieser Zeit sollten Sicherheits- und Rechtsfragen beraten und abgeklärt werden. 

Bis zum Inkrafttreten (01.07.1990) des Gesetzes zur Regelung der Gentechnik (GenTG) war das Freisetzen GVO in Deutschland nicht abschließend rechtlich geregelt. Die Beantragung eines Freisetzungsversuches erfolgte nach den Gen-Richtlinien (Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in-vitro neukombinierte Nucleinsäuren) in der Fassung von Mai 1986. In dieser Fassung ist das zuvor bestehende grundsätzliche Verbot von Freisetzungen in ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt abgeändert worden. Die Rechtslage war dennoch interpretationsbedürftig. 1989 hatte der Hessische Verwaltungsgerichtshof auf die Problematik der rechtlichen Einordnung der Gen-Richtlinien hingewiesen. Er war der Auffassung, dass Arbeiten mit GVO, Betreiben von gentechnischen Anlagen und Freisetzen von GVO einer staatlichen Rechtsgrundlage bedürfe.

Wissenschaftlicher Hintergrund

Forscher am MPI für Pflanzenzüchtung hatten Petunien durch den Transfer des Gens für eine Dihydroflavonol-4-Reduktase (A1) aus Mais klassisch gentechnisch modifiziert. [1]. Hierdurch erblühten die Petunien nicht mehr weiß, sondern lachsrot. Wie damals üblich enthielt das Genkonstrukt als Markergen auch ein Antibiotika-Resistenzgen. 
Elemente des p 35 A1-Konstrukts für die gentechnische Veränderung der Petunien (Meyer et al. 1987 [1])    A1-cNA Mais  Gen für die Dihydroflavonol-4-Reduktase aus Mais   
  P-35S Promotor und T-35S Terminator aus dem Blumenkohlmosaikvirus; T-ocs Terminator der Octopinsynthase
  P-nos Promotor und T-nos Terminator der Nopalinsynthase
  nptII, Kanamycinresistenzgen als Markergen (Antibiotika-Resistenzgen)
Der Freisetzungsversuch sollte der Untersuchung von „springenden Genen“ dienen und die gv-Petunie erschien als ein geeignetes und leicht handhabbares Modell. Die Wirkung springender Gene (Transposonen) sollte sich hier durch den Farbwechsel von Lachsrot nach Weiß bereits optisch erkennbar werden. Durch die Insertion eines Transposons in das A1 Gen würde sein Genprodukt, das Enzym Dihydroflavonol-4-Reduktase nicht mehr gebildet und die Petunie würde wieder weiß blühen. Die Insertion in einen bestimmten Genort, hier das A1 Gen, ist ein recht seltenes Ereignis. Daher müssen – auch aus theoretischen Überlegungen heraus - eine große Anzahl von gv-Pflanzen freigesetzt werden, um überhaupt die Wirkung eines Transposons beobachten zu können. Bei dem Freisetzungsversuch sollten 30 800 gv-Petunien (Petunia Hybrida RL1/17) verwendet werden. 

Die Freisetzung der gv Petunien

Die einzelnen Punkte der Tabelle werden sehr ausführlich in der Publikation von W. Schuchert [2] dargestellt. Diese Publikation ist wohl die umfassendste Darstellung der Ereignisse um den Freisetzungsversuch. 
Der Freisetzungsversuch wurde von Anfang an heftig kritisiert und bekämpft. Der Widerstand - auch von politischer Seite aus – war groß; man wollte keine „Genbasteleien“ vor der eigenen Haustür. Spangenberg verurteilt diese Freisetzung, da er hier den Türöffner für die Gentechnik sieht. "Das Experiment, auch nach Aussage vom MPI hat eine doppelte Funktion: Einmal die wissenschaftliche Funktion, die beschrieben worden ist. Zum Zweiten soll es der Türöffner sein, die Lokomotive für Freisetzung überhaupt. Das Experiment ist eine Besonderheit, weil es die Absicht der Wissenschaftler war, Türen zu öffnen für andere Freisetzungen."
Der Tag der Freisetzung, der 14.05.1990, wird von den Medien, dem GeN und dem MPI weitgehend gleichlautend dokumentiert. Hier die Darstellung von Schuchert, MPI [2]: „Am 14.05.1990 blockieren ca. 100 – 200 Versuchsgegner ab 6 Uhr die Institutszugänge mit dem Ziel, die Freisetzung zu verhindern. Die für die Auspflanzung zuständigen Mitarbeiter übernachteten zum Teil im Institut oder erschienen früher, sodass der Versuch wie geplant durchgeführt werden konnte. Lediglich die angekündigte Pressekonferenz fiel aus, weil aus Sicherheitsgründen die Tore auch für eingeladene Pressevertreter verschlossen blieben. Gentechnikgegner, Presseleute und MPI-Mitarbeiter diskutierten zum Teil heftig miteinander. Gegen 13 Uhr löste sich die Demonstration auf“.  

Bis auf einen kleinen für den Versuch bedeutsamen Zwischenfall am 25.06.1990 – Gegner des Versuches pflanzten weißblühende Petunien ins Versuchsfeld - konnte das Experiment über die gesamte Vegetationsperiode ungestört laufen und abgeschlossen werden. Allerdings zeigte sich bereits während der Vegetationsperiode augenscheinlich, dass das Experiment nicht so verlaufen ist, wie erwartet. Wäre es nach Plan verlaufen, würden in einem lachsroten Blütenmeer wenige weiße oder weiß-rot-gefärbte Petunien blühen. Die Natur und die Pflanzen haben sich aber nicht darangehalten, was nach dem damaligen Wissensstand passieren, hätte müssen. Statt weniger weißblühender und sehr vielen lachsfarbigen Petunien, glich das Versuchsfeld einem buntblühenden, meist rot-weiß getupften Blumenfeld. Aufgrund einer Hitzewelle mit intensiver Sonneneinstrahlung verloren die meisten Pflanzen ihre lachsrote Farbe. Für die MPI-Mitarbeiter und Forscher ein Misserfolg, eine Enttäuschung und Anreiz zur Klärung der Vorkommnisse zugleich. Nach ihrer ► Ansicht wurde durch die ungewöhnlichen Wettereinflüsse, das A1-Gen „umprogrammiert“, wodurch die unterschiedlichen Blütenfarben ergaben. Nach einem weiteren Freisetzungsversuch 1991 konnten sie dann die molekularen Grundlagen für die Ausprägung der unterschiedliche Blütenfarben aufgeklärt werden [3]. Es handelt sich hier um einen epigenetischen Effekt, die Methylierung einzelner Cytosine im Promotor des A1-Gens. Der Promotor reguliert die Aktivität des entsprechenden Gens. 

Auch wenn das ursprüngliche Ziel – die Erforschung von „springenden Genen“ – mit dem 1. Freilandversuch nicht erreicht werden konnte, so beiden beide Freisetzungsversuche doch wichtige Erkenntnisse für die Grundlagenforschung erbracht. 
            taz-archiv: taz vom 08.05.1990, Autor Oliver Köhler
           https://taz.de/!1769139/
Für die Gentechnikkritiker war der Misserfolg ein Erfolg und Beweis für die Unkontrollierbarkeit der Gentechnik. In den Medien wird das unerwartete Ereignis unterschiedlich bewertet; aber oft auch mit Häme wie z. B. die ► taz vom 13.08.1990: „Petunien sind verblichen- Erste Genfreisetzung wird zum jämmerlichen Flop / Fast die Hälfte der Pflanzen haben in der Hitze die Farbe verloren.“

Auch wenn in den folgenden Jahren noch zahlreiche Freisetzungen nach den GenTG angemeldet und teilweise auch durchgeführt wurden, hatte der Kölner-Misserfolg nachhaltige Folgen. Er war der generelle Auftakt zur Verteufelung von Freisetzungsexperimenten und zum Aufruf Freisetzungsexperimente in Deutschland zu verhindern. Zum 25. Jubiläum der Kölner Freisetzung bekräftigt das GeN nochmals ihren Widerstand gegen Freisetzung in einer ► Sonderbeilage zu ihrer Zeitschrift GID „25 Jahre Widerstand - Freisetzungen gentechnisch veränderter Pflanzen verhindern“. Letztlich muss anerkannt werden, dass es Gentechnikgegner und -kritiker zwar nicht allein, aber auch mithilfe von Parteien und daraus folgend der Gesetzgebung gelungen ist, in Deutschland Freisetzungen von GVO erfolgreich zu unterbinden. Seit 2013 gibt es keine Freisetzungen von gv-Pflanzen für grundlagenorientierte Forschungen in Deutschland mehr. Seinerzeit hat die Wissenschaft es mehr oder minder stillschweigend hingenommen, dass Freisetzungen durch Feldbesetzungen nicht durchgeführt oder durch Vernichtung der gv-Pflanzen auf den Feldern Freisetzungsversuche nicht ausgewertet werden konnten. 
Gegenwärtig ändert sich etwas die Situation auch vor dem Hintergrund der neuen Verfahren zur Änderung der genetischen Information: Die Wissenschaft erhebt ihre Stimme! Bliebt zu hoffen, dass eine Wende eintritt!  Möglicherweise kann die Corona-Krise einen  Beitrag leisten.

Literatur:
[1] Meyer P., Heidmann I., Forkmann G. & Saedler H. (1987): A new petunia flower colour generated by transformation of a mutant with a maize gene. 
      Nature 330, 677-678
[2] Schuchert W. (1997): Pflanzenzüchtungsforschung im Blickpunkt einer kritischen Öffentlichkeit. Die öffentliche Auseinandersetzung um die ersten 
      Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen in Deutschland. Witterschlick/Bonn: Wehle 1997 ISBN 3-89573-067-X
[3] Meyer, P., Linn, F., Heidmann, I., Meyer, H., Niedenhof, I. & Saedler, H. (1992): Endogenous and environmental factors influence 35S promoter 
     methylation of a maize A1 gene construct in transgenic petunia and its colour phenotype. Mol. Gen. Gen. 231, 345-352

                                                                                                                         siehe auch      Petunien illegal im Handel.... .

bgf-Jany  13.05.2020

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